„ Du bist echt nicht zum Aushalten!“, mit diesen Worten knallte die Tür zu.
Als ob der Schall sie umriss, ließ sich Joy auf ihren Sessel fallen.
Ihr Sessel, der oft ihre Tür in eine andere Welt war, wenn sie las.
Bücher, Joy liebte Bücher. Sie waren ihr Ticket in eine andere Welt.
Das Ticket in eine Welt wo alles seinen Platz hatte und wo nichts verkehrt zu sein schien.
Ihre Welt, die Realität, schien auf dem Kopf zu stehen.
Das Unglück, ihr Unglück, glich einem schwarzen Loch, das sie in sein Inneres zog.
Es war als würde sie kopfüber in dieses Loch fallen.
Sie wollte doch alles richtig machen, für jeden perfekt sein.
Doch dann begann sie zu Lügen, sich selbst zu belügen. Sie wurde die böse Hexe im Märchen, das hinterhältige Biest einer typischen Highschoolstory. Aber sie begann auch nach zu denken, über ihr Leben nach zu denken.
Was wird morgen sein? Weshalb wird sie morgen lügen müssen?
Quälende Fragen, eine Last kaum zu tragen, aber sie musste, ihrer Mutter zu liebe.
Nachdenklich betrachtet sie ihr Zimmer, das perfekte Zimmer für das „perfekte“ Mädchen.
War sie das? Vermutlich nicht, wer war das schon?
Joy wusste eines nur, das sie etwas ändern musste, damit sie nicht in das schwarze Loch hinein fiel. Ein Blick auf die Zeitung. Ihr Horoskop: „ Menschen machen Fehler, damit man aus ihnen lernt! Du musst lernen mit ihnen um zu gehen und sie zu lösen!“
Ach ja, wie sehr sie diese Sprüche früher gemocht hatte. Damals als sie für die Welt nicht perfekt sein musste und noch von Prinzessinnen in rosa Schlössern träumen durfte. Wo waren diese rosa Schlösser und wo waren die Prinzessinnen, die in ihnen wohnten? Heute sah man doch nur noch graue Hochhaussiedlungen und gläserne Firmenhäuser.
Das Schöne an Gedanken ist, man darf denken was man will, genauso wie in Träumen.
Unten hörte Joy ihre Eltern streiten, ja ihr Leben stand auf den Kopf. Sie stritten jeden Tag, aber eine Scheidung kam nicht Infrage, das würde ihrem perfekten Image einen Knacks versetzen. Das durfte natürlich nicht passieren, deshalb sollte Joy auch perfekt sein.
Was ihre Tochter dabei dachte, hatte kaum einen Wert!
Dass ihre Tochter vielleicht mit diesem Druck nicht klar kam, daran verschwendeten sie keinen Gedanken. Und sie machten sich auch keine Gedanken darüber, wie Joy wohl versuchen würde, diesem Druck zu entkommen.
Joy hatte schon oft an ihrer emotionalen Schlucht gestanden und tief in das Ende geblickt.
Messer. Brücke. Föhn. Aber Joy hatte viel zu sehr Angst, als dass sie ernst machen würde.
Zu oft waren die guten Zeiten zurückgekehrt und Joy klammerte sich daran fest.
Genauso oft kam aber auch die schlechte Zeit zurück und mit ihr eine große Enttäuschung. Warum konnte sie nie die schöne Zeit genießen? Weil das Leben ein Glückspiel ist, entweder man gewinnt oder verliert, dazwischen gibt es nichts. Und wenn man zu oft verliert, so wie Joy, landet man irgendwann in seinem persönlichen Schwarzweiß- Film, dann sucht man sich eine Welt mit Farbe und entgleitet der Realität. In den Träumen ist alles perfekt und schön.
Doch wacht man erstmal auf, dann verwandelt sich die Enttäuschung darüber, dass nicht alles perfekt und schön ist, in Wut. Joy blickt aus dem Fenster auf die fast menschenleere Straße, hier drinnen in ihrem Zimmer versuchte sie die Wahrheit auszusperren.
In dem Fenster spiegelte sich Joys Gesicht wieder. Wütend starrte sie sich selbst an.
„Versagerin! Hinterhältiges Biest!“, diese Worte hallten durch ihren Kopf, diese Worte hatte sie oft gehört, von Leuten die ihr eigentlich Halt geben sollten.
Diese Leute drehten ihr den Rücken zu, als wollten sie sagen: „ Es ist dein Leben! Mach was draus! Mach es perfekt! Komm selber damit klar!“
In einer Gruppe lässt es sich viel besser kämpfen, man ist stärker und mutiger.
Doch wenn man immer alleine kämpfen muss, verlässt einen der Mut, man ist schwach.
Wer kämpft schon weiter, wenn alles aussichtslos scheint? Richtig: Helden!
Aber Joy ist kein Held, nur ein Mädchen, das mit ihren Problemen nicht mehr klar kommt, die sich wünschte, dass ihre Eltern abends zu ihr ins Zimmer kämen und ihr von ihrem Tag erzählten.
Oder sie einfach in den Arm nahm und ihr sagten: „ Hey Joy! Wir haben dich lieb, du bist uns wichtig!“ Das taten sie aber nicht. Sie bemerkten, nicht einmal wenn sie ins Zimmer kamen, sodass Joy oft weinte. Mit einem stillen Hilferuf auf den Lippen: „ Helft mir!“
Oft erschien sie nicht beim Essen, sie nahm ab, versuchte sich in Luft auf zu lösen, wünschte sich einfach nicht mehr da zu sein. Ihre Eltern nicht mehr zu enttäuschen. Sie wollte nicht mehr sehen mit welchem Trauerblick ihr Vater herumlief, wenn sie eine Arbeit vergeigte.
Sie liebt ihre Eltern, doch sie kann nicht mehr. Was soll sie tun?
Sie will nicht in das schwarze Loch fallen, aber sie will auch nicht in ihrer von Sorgen erfüllten Welt leben. Manchmal malte sie Bilder von ihrem Leben. Riesige Ozeane mit kleinen schwimmenden Joys in den Wellen. Ja, manchmal hatte sie das Gefühl an ihrem eigenen Leben zu ertrinken. Auch in ihren Träumen sah sie sich oft ertrinken und sie sah wie die Menschen, die sie liebt, dabei zusahen wie sie ertrank. Wie oft war sie nach solchen Träumen weinend aufgewacht und hatte sich in die Arme ihrer Eltern gewünscht.
Manchmal ist Reden die beste Art Probleme zu lösen, was aber wenn man versuchte anderen etwas mit zu teilen, aber diese nicht hörten was man versuchte ihnen mitzuteilen, nur die Worte, die man sagte? Nein, dann drückt man sich nicht undeutlich aus, die anderen verstehen nicht was man sagt, oder sie wollen es nicht verstehen. Es gibt Menschen denen geht’s vielleicht viel schlechter als dir. „Vielleicht“, sagte sich Joy, „ Vielleicht ist zwischen drinnen, zwischen drinnen gibt es nicht.“ Und bei jemandem der perfekt ist so wie Joy es sein musste, wird kein Nein akzeptiert so ohne weiteres. Aber an „ Ja“, daran, dass es jemanden schlechter ging als ihr, glaubte Joy in diesen Zeiten nicht. Was half der beste Spruch, wenn er dich nur noch mehr enttäuschte.
Joy steht auf, geht zum Schreibtisch, dort steht ein Familienfoto. Mutter, Vater und Joy blicken fröhlich in die Kamera. Damals war alles noch gut. Ihr Blick fällt auf die Packung Schlaftabletten. Sie öffnet die Packung und drückt die Schlaftabletten aus ihren Verpackungen.
Nimmt sie alle in eine Hand, sie geht zum Spiegel.
Sie starrt ihr Spiegelbild an. Wut und Enttäuschung stehen sich gegen über, in der einen Hand das Glück, in der anderen Hand das Unglück.